IstanbulWie ein Puzzle liegt es vor mir auf dem Tisch: Einzelne Fragmente, Reise-Impressionen, Dialoge, die an manchen Stellen schon ein klares Bild ergeben, mich andererseits auch stark irritieren. Drei Mal habe ich in den letzten zwei Jahren Istanbul besucht, jedes Mal aus einer neuen Perspektive. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe mich in diese Stadt verliebt. In diesem Reisebericht fokussiere ich mich auf drei Seiten, die mir nachhaltig im Gedächtnis bleiben:

1. Die Kulturhauptstadt Europas

Die Hagia Sophia symbolisiert für mich besonders markant die wechselvolle Historie dieser pulsierenden Stadt. Es ist schon eine verrückte Geschichte: 961 Jahre lang dient die Hagia Sophia als Kirche, dann 481 Jahre als Moschee. Seit 1935 ist sie nur noch ein Museum. Ob damit der Disput zwischen Christen und Moslems um diesen markanten Zankapfel begraben ist? Ich glaube es nicht.

Schlüssiger und moderner wäre es nach meiner Ansicht gewesen, die Kirche wieder den Christen zur Verfügung zu stellen. Moscheen gibt es in Istanbul mehr als genug. Doch dieser Schritt wäre innenpolitisch schwer zu vermitteln gewesen. Ich bin gespannt, ob in den kommenden Jahren ein mutiger Staatsmann diesen mutigen Schritt noch gehen wird.

2. Das Modezentrum der Türkei

Rainer Wälde IstanbulDer „Große Basar“ zählt heute zu den Highlights in Istanbul: Neben dem Inneren Markt, gibt es auch einen Juwelen und Seidenmarkt. Ich war bereits vor einem Jahr hier und bin immer noch begeistert von dieser schillernden Welt aus 1001 Nacht – an jeder Ecke gibt es etwas Neues zu entdecken und genügend Gelegenheit auch zum Feilschen. Istanbul – die Kulturhauptstadt Europas hat ein Bein in Asien, ein Bein in Europa. 1000 Jahre lang war sie Mittelpunkt der westlichen Welt, heute verkörpert sie für mich den kreativen Orient, der sich längst für den globalen Markt geöffnet hat. Die Stadt der Medien und der Mode verbindet östliche Tradition und westliche Moderne. Und bewahrt dabei stärker als der flüchtige Westen noch die eigene kulturelle Identität.

3. Eine Kultur im Wandel

IstanbulAm letzten Freitag will ich mir einem Modegeschäft am Bagdad Caddesi einen Pullover kaufen. Beim Bezahlen möchte die Verkäuferin meinen Ausweis sehen. Was soll dieses Zeichen des Misstrauens, wo doch die Zahlung gesichert ist? In der Türkei – so erfahre ich von Bewohnern – herrsche eine „No-Trust-Culture“.  Ich habe das bereits vor zwei Jahren im Fischrestaurant erlebt: Weil Einheimische mitunter dem Koch nicht blind vertrauen, kaufen sie selbst den Fisch und geben ihn dann im Restaurant ab.

Verschärftes Misstrauen auch beim Abflug am Samstag: In Istanbul werde ich nicht einmal durch die gesamte Sicherheitskontrolle geschleust, sondern gleich zweifach. Doppelt hält besser. Diese Beobachtungen wiederholen sich bei allen drei Besuchen. Für mich lautet die spannende Frage bei aller Liebe zu Istanbul: Für welche Kultur werden sich die Bewohner in Zukunft entscheiden: Haben sie den Mut, auf Vertrauen zu setzen?